Die Welt, 01.08.2000
Besuchsrecht ist Menschenrecht
Noch immer wird Vätern in Deutschland der Zugang zu ihren
Kindern verwehrt - Debatte Von Christine Brinck Der kleine Elián, der
monatelang die allerhöchste Politik beschäftigte, hatte das Glück, in Amerika
gestrandet zu sein. Denn der wütende Kampf um die Vereinigung mit seinem Vater
wurde recht schnell zu Gunsten seines Erzeugers entschieden. Hieße Elián Hans
und wäre von der deutschen Mutter nach oder in Deutschland entführt worden,
hätte sein Vater eher eine lange Nase denn sein Kind gesehen. An der
Gesetzeslage liegt es nicht. Das neue Kindschaftsrecht ist vorbildlich. Es legt
nicht nur die Rechte beider Eltern nach Trennung und Scheidung fest, sondern
unterstreicht auch das Recht des Kindes auf dauerhafte Beziehungen zu beiden. Wo
ist also das Problem? Der gute Ansatz wird nur allzu oft vom betreuenden
Elternteil, von Familienrichtern und Jugendämtern unterlaufen. Der amtlich
sanktionierte Kindesraub trifft nicht nur ausländische Väter und Mütter, wie
die jüngsten Auseinandersetzungen mit Amerikanern und Franzosen belegen, die
vergebens um ihre Besuchsrechte in Deutschland kämpfen. Zu den Opfern gehören
vor allem ausgegrenzte inländische Eltern, insbesondere Väter. Bis heute hat
die Gesellschaft noch nicht akzeptiert, "dass ein Vater ebenso viel wert
ist wie eine Mutter". Der Satz stammt von der früheren französischen
Ministerin Elisabeth Badinter aus ihrem Buch "XY - Die Identität des
Mannes" (1992). Daran hat sich gerade in Deutschland nicht viel geändert.
Immer noch fällt es Müttern und Offiziellen schwer, Mutterschaft und
Vaterschaft als gleichwertige Formen der Verantwortung zu begreifen. Mutterschaft
ist gut und heilig; den Satz kann ein Christkonservativer genauso
unterschreiben wie eine rabiate Feministin. Doch der Vater? Gut, ihn zu haben,
aber lebensnotwendig sei er nicht. Täglich werden etwa 100 deutsche Kinder
verschleppt, meistens von ihren Müttern. Das ist bei Ehelichkeit der Kinder
absolut gesetzeswidrig, weil es die gemeinsame Sorge gibt, geschieht aber dennoch.
Drei Jahre nach dem Abgang von Mutter und Kind haben 70 Prozent der Kinder
keinen Kontakt mehr zu den Vätern, auch wenn die weder tot noch ganztägig
betrunken sind. Ihre Hauptsünde? Sie passen den Müttern nicht mehr in die
Lebensplanung. Und die Kleinen müssen - mitgehangen, mitgefangen - die neue
Planung teilen. Mögen die Väter noch so sehr um Umgangsrecht betteln oder
streiten, es wird ihnen verwehrt, wenn es die Mütter nicht wollen. Damit könnte
jetzt endlich Schluss sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg hat unlängst einem klagenden deutschen Vater, vertreten durch den
Kindschaftsanwalt Peter Koeppel, sein Besuchsrecht als Menschenrecht bestätigt
und die deutsche Justiz zu Schadenersatz verurteilt. Was war geschehen? Der
Hamburger hatte sich 1988 von seiner Partnerin getrennt. Zwei Jahre lang
klappte es wunderbar mit den Besuchen bei dem kleinen Sohn, dann wurde dem
Vater 1991 plötzlich auf Antrag der Mutter der Umgang verwehrt. Der Vater
marschierte durch die Instanzen - vom Amtsgericht bis hin zum
Bundesverfassungsgericht. Vergebens. Unisono und mit immer der gleichen
Begründung wurde er abgeschmettert. Warum? Man dürfe den Umgang nicht gegen den
Willen der Mutter erzwingen, weil das Kind in schreckliche Konflikte geraten
würde. Diese Begründung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Umgang
mit dem Vater ist schädlich für das Kind, nachgerade grundsätzlich. Weil das in
diesem Falle "vollkommen klar" sei, musste man auch keine Psychologen
befragen. Die Evaluation des Kindes fand nicht statt. Der Fünfjährige musste
nur zu Protokoll geben: "Ich will den Papi nicht sehen." Das war's
dann schon. Das Kind hatte gesprochen. Dass dieser Kindeswille vermutlich nur
der Mutterwille war, hätte ein mit der Forschung vertrauter Psychologe leicht
etablieren können. Die selten in Psychologie bewanderten Richter wussten es
besser - bis jetzt, leider neun Jahre zu spät, der Menschenrechtsgerichtshof
anders entschied. Nicht nur wiesen die Straßburger ihren deutschen Kollegen die
Verletzung des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention - Recht auf
einen fairen Prozess - nach, sondern auch den Verstoß gegen deren Artikel 8,
der die Würdigung des Familienlebens anmahnt. Das Familienleben des Vaters ist
zerstört, die seelische Verstümmelung des Kindes durch Muttermanipulation und
Vaterentbehrung zementiert. Der um sein Menschenrecht auf Umgang betrogene
Vater wird trotz der Straßburger Entscheidung sein Kind jetzt nicht sehen
können. Dafür muss er erneut vor einem deutschen Gericht klagen. Die unendliche
Dauer gerade von Umgangsregelungen ist in sich schon ein Gesetzesverstoß. Gerade
bei jungen Kindern ist Zeit der alles entscheidende Faktor. Bei Elián
erschienen sechs Monate schon unerträglich lange. Der amerikanische Vater Joseph
Cooke kämpft indessen schon seit neun Jahren mit deutschen Gerichten darum,
seine nach Deutschland verbrachten Kinder zu sehen. Dass er für die in seiner
Heimat das Sorgerecht hat, hat die Ämter hier wenig gekümmert. Denn auch hier
hatte die deutsche Justiz im Verein mit dem Jugendamt Vaterschaft als
entbehrlich eingestuft. Inzwischen haben sich sogar Bill Clinton und Gerhard
Schröder des Falles angenommen. Doch nichts überstürzen, scheint weiter die
Devise zu sein. Jetzt aber hat Straßburg gesprochen: Besuchsrecht ist
Menschenrecht.